Jean Anthelme Brillat-Savarin – Über den Einfluß der Ernährungsweise auf die Ruhe, den Schlaf und die Träume

physiologie

Deckblatt der Physiologie du goût mit einem Porträt Brillat-Savarins (1848)

Mag der Mensch ruhen, schlafen oder träumen, immer steht er unter der Herrschaft der Gesetze der Ernährung und tritt nie aus dem Gebiete der Gastronomie heraus. Theorie und Erfahrung verbinden sich zu dem Beweise, daß die Qualität und die Quantität der Nahrungsmittel auf die Arbeit, die Ruhe, den Schlaf und die Träume von bedeutendem Einfluß ist…

Von nicht geringerem Einfluß ist die Ernährungsweise auf den Schlaf und auf die Träume. Der Hungrige kann nicht einschlafen. Die Leere seines Magens hält ihn auf schmerzhafte Weise wach, und wenn Schwäche und Erschöpfung ihn dennoch zum Schlummer zwingen, so ist sein Schlaf leicht, unruhig und unterbrochen. Wer dagegen bei seinem Abendessen die Grenzen der Mäßigkeit überschritten hat, verfällt sogleich in tiefen Schlaf, und wenn er träumt, bleibt ihm nichts davon im Gedächtnis, weil das Nervenfluidum sich in den Empfindungskanälen nach allen Richtungen hin gekreuzt hat. Aus demselben Grunde ist auch sein Erwachen ein jähes: er findet sich nur mit Mühe ins gesellige Leben zurück, und wenn der Schlaf völlig verschwunden ist, verspürt er noch lange die Strapazen der Verdauung.

Man darf als gemeingültige Regel den Satz aufstellen, daß der Kaffee den Schlaf verscheucht. Die Gewohnheit schwächt allerdings diese üble Wirkung und hebt sie sogar völlig auf, sie tritt aber unfehlbar bei allen Europäern ein, die erst mit dem Gebrauche des Kaffees beginnen. Einige Speisen dagegen machen auf angenehme Weise zum Schlafen geneigt, so alle die, bei denen die Milch die Hauptrolle spielt, ferner die ganze Familie der Lattiche, das Geflügel, der Portulak, die Orangenblüte und vor allem der Reinettapfel, wenn man ihn unmittelbar vor dem Zubettgehen ißt.“
Aus: Jean Anthelme Brillat-Savarin: Physiologie des Geschmacks, XX Mediation

Jean AnJean-Anthelme_Brillat_de_Savarin_(1755-1826)thèlme Brillat-Savarin wurde am 1. April 1755 in Belley, Département Ain geboren und starb am 2. Februar 1826 in Paris. Er war französischer Schriftsteller und einer der bedeutendsten französischen Gastrosophen. Von bürgerlichem Beruf war er Richter, ein Amt, das ihm ausreichend Zeit ließ, sich seiner eigentlichen Leidenschaft, der Kochkunst zu widmen, über die er mehrere Werke verfasste. Das bekannteste seiner Werke ist „La Physiologie du Goût“ (Die Physiologie des Geschmacks), 1826 erschienen, 1865 ins Deutsche übersetzt, an dem er 25 Jahre lang gearbeitet haben soll. Darin geht es nicht nur um die Zubereitung exquisiter Speisen, sondern grundsätzlich um sehr geistvolle Theorien zu Tafelfreuden, eine Art Lebenslehre. Mit seinem Buch begründete er eine neue Form des Schreibens über Essen und trug in Europa wesentlich zur Weiterentwicklung der Kochkunst bei. Berühmt sind seine Aphorismen wie beispielsweise „Ein echter Feinschmecker, der ein Rebhuhn verspeist hat, kann sagen, auf welchem Bein es zu schlafen pflegte“ oder „Ein Dessert ohne Käse ist wie eine einäugige Schönheit“.  Aus Wikipedia

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Ein Gedanke zu “Jean Anthelme Brillat-Savarin – Über den Einfluß der Ernährungsweise auf die Ruhe, den Schlaf und die Träume

  1. Da sieht man´mal wieder (und „frau“ natürlich auch): die Alten haben das Leben schon ganz schön durchschaut! Diese Meinung vertraten übrigens ebenso die alten Chinesen, die mit ihrer Ernährungslehre auf die Verdauungsarbeit der Leber nächtens und den Biorhythmus aller Organe hinwiesen und damit eine gute Grundlage für heutige Therapieansätze bieten.
    “ Der Bauch ist des Menschen Mittelpunkt – hundert Krankheiten wohnen darin“ eine wichtige Sicht auf Krankheit und Gesundheit und selbstverständlich auch auf die Kochkunst.

    meint
    die
    Gartenfee

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