Eduard Mörike – In der Frühe

Eduard_Mörike_und_sein_Umkreis

Mörike (links hinten, sitzend) und seine Freunde, darunter Rudolph Lohbauer (vorn liegend) und Ernst Friedrich Kauffmann (ganz rechts). Lohbauers Tübinger Gartenlaube, ein Ausschnitt aus der Tuschezeichnung von Rudolph Lohbauer; Umschlagvorderseite der Zeitschrift „Kulturstiftung der Länder – Patrimonia 33“ CC-BY-SA-4.0

Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,
Dort gehet schon der Tag herfür
An meinem Kammerfenster.
Es wühlet mein verstörter Sinn
Noch zwischen Zweifeln her und hin
Und schaffet Nachtgespenster.
– Ängste, quäle
Dich nicht länger, meine Seele!
Freu dich! schon sind da und dorten
Morgenglocken wach geworden.

Eduard Mörike

Um Mitternacht
Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand;
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.
Das uralt alte Schlummerlied
Sie achtet’s nicht, sie ist es müd‘;
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flücht‘ gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.